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Seit zweieinhalb Jahren organisiert der Verein Hilfstransporte, lädt Schüler- und Kulturgruppen aus Valjevo ein und informiert über die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der - zukünftig wohl auch offiziellen - Partnerstadt. Bernhild Vögel begleitete einen der Hilfstransporte. Die Menschen drängen sich im Gemeinschaftsraum. Eine alte Frau sitzt neben dem Herd und stützt sich auf ihre Krücke. Sie hebt ihren Rock an und zeigt uns ihr Bein, es ist geschwollen und mit Geschwüren bedeckt. Ich fotografiere, aber als sie zu weinen beginnt, kann ich nicht mehr auf den Auslöser drücken. Die 38 Menschen, viele Alte, ein paar Jugendliche und ein Kind, die seit Jahren im Flüchtlingslager Poljeplot leben, stammen aus der Krajina, einer jahrhundertelang überwiegend von Serben bewohnten Region zwischen der dalmatinischen Küste und Bosnien. Nach der Loslösung Kroatiens aus dem jugoslawischen Staatenverbund 1991 riefen die Krajina-Serben eine unabhängige Republik aus. Im serbisch-kroatischen Krieg war die Krajina eines der hart umkämpften Gebiete, aus dem schließlich 250 000 Serben fliehen mußten. Ein etwa 40jähriger Mann aus dem Flüchtlingslager erzählt, daß seine Frau und seine Kinder noch in der Kraijna leben. Er kann nicht zu ihnen zurückkehren, denn er war Soldat auf serbischer Seite. Die schweren Verwundungen, die er erlitt, haben ihn gezeichnet, aber mehr noch der Verlust der Familie. Das Flüchtlingslager, eines von vielen, liegt am Stadtrand von Valjevo. Valjevo ist eine reizvolle Stadt voll architektonischer Kontraste. Rechts des Flusses Kolubara liegt das malerische Viertel Tesnjar: enge Gassen mit niedrigen Häusern, in denen im 18. und 19. Jahrhundert türkische Händler und Hand werker ihre Geschäfte betrieben. Die andere Flußseite erzählt vom erfolgreichen Kampf um die Unabhängigkeit vom osmanischen Reich, der 1878 mit der Errichtung des Königreiches Serbien endete. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden das prachtvolle Gymnasium und das Grand Hotel, das heute noch in altem Glanz erstrahlt. Doch seit vielen Jahren kommen keine Reisenden mehr, um die Stadt, das romantische Tal des Gradac-Flusses, die alten Klöster in der Umgebung und die unberührte Bergwelt der Podgorina südlich der Stadt zu erkunden. Arbeitslosigkeit, Armut, Not - noch sieht man die wachsenden Probleme nicht auf den ersten Blick. Im menschenleeren Kaufhaus von Valjevo entdecke ich an den Kleidungsständern Schilder, auf denen "zahlbar in vier Raten" steht. Krankheit ist eine Schwester der Armut. Wenn man im Krankenhaus durch die Reihen der Wartenden geht, erhält man eine Vorstellung vom Ausmaß der sozialen Not. Es fehlt an Medikamenten, medizinischen Geräten, Sanitätsartikeln, an all dem, was der Hilfstransport des Pfaffenhofener Vereins "Freundschaft mit Valjevo" nun mitgebracht hat. Das Röntgengerät, die Dialyseapparate werden lange ihren Dienst tun, aber wie schnell werden Medikamente, Verbandsstoff und Spritzen verbraucht sein? Unter den Menschen, die am Feiertag vor der überfüllten Kirche warten, sucht Bürgermeister Milanovic einen Dolmetscher. Er findet Herrn L. Der Maschinenbauingenieur im abgewetzten Mantel spricht deutsch, kennt deutsche Städte wie Schweinfurt, wo er bei der Firma FAG Kugelfischer Verhandlungen geführt hat. Aber das ist lange her. Fragt man ihn nach seiner heutigen Tätigkeit, winkt er nur müde ab. Ja, er ist immer noch bei der Maschinenfabrik Krusik beschäftigt, aber da gibt kaum mehr etwas zu tun und noch weniger zu verdienen. Im April 1999 wurde das Areal der Firma, bei der 7000 Menschen beschäftigt waren, von NATO-Bombern angegriffen, ein Großteil der Hallen ist zerstört. Nicht nur Krusik ist am Ende, auch die Lederfabrik und andere Betriebe der Stadt liegen brach. Mehrere Großbanken mitsamt ihrer örtlichen Filialen mußten Konkurs anmelden und wurden geschlossen. Noch stellt die außerhalb der Stadt gelegene Brauerei das Eichinger Bier her, benannt nach dem bayerischen Braumeister Josef Eichinger, der 1860 nach Serbien ausgewandert war. Aber der Absatz stagniert. Bürgerkrieg, Embargo, NATO-Intervention haben - sicherlich auch im Verbund mit Mißmanagement und Korruption - die Wirtschaft ruiniert. Am Tag, als wir in Belgrad vom Minister für Jugend und Sport, Andric, der zugleich Direktor des Gymnasiums in Valjevo ist, empfangen werden, stattet der italienische Präsident Ciampi der jugoslawischen Regierung einen Besuch ab, spricht davon, daß "der Balkan ein integraler Bestandteil Europas" sei, und verspricht 12,9 Millionen Euro Wirtschaftsförderung. Einen Tag später ist es der bundesdeutsche Wirtschaftsminister Werner Müller, der mit dem jugoslawischen Präsidenten Kostunica über Handelsbeziehungen, Hermesbürgschaften und die baldige Eröffnung der ersten Filiale der Deutschen Bank redet. In Valjevo bedankt sich Bürgermeister Milanovic bei den Vertretern des Pfaffenhofener Vereins für ihre engagierte Hilfe und sagt: "Die Zeit der Not ist hoffentlich bald vorbei. Wir wollen beginnen, Partnerschaft entwickeln.". Die Vertreter der Stadt machen deutlich, daß Valjevo "nicht nur Hilfeempfänger" sein will. Dauerhaft auf Hilfe angewiesen wird aber ein Großteil der Flüchtlinge bleiben. Hilfe kann schnell demütigend wirken, wenn sie nicht auf die konkreten Bedürfnisse und Notlagen zugeschnitten ist. Manche der Flüchtlinge sagen: Wir wünschen uns einen Fernseher für den Gemeinschaftsraum. Die Jüngeren wünschen sich Bekleidungsstücke, in denen sie in die Stadt gehen können, ohne sofort als Flüchtlinge erkannt zu werden. Über die "unrealistischen" Wünsche reden sie nicht: ein normales Leben mit Privatsphäre und Wohnung und Arbeit. Die Barackenräume sind zum Teil fensterlos, jeder mißt sechs Quadratmeter, wenn zwei Menschen darin leben, sind das drei Quadratmeter pro Mensch. Der Betreuer des Flüchtlingslagers sagt: Gebraucht wird mehr Raum für die einzelnen Familien, gebraucht wird Geld für Baumaterial. Das unfreiwillige und jahrelange Zusammenleben auf engstem Raum hat Aggressionen und Depressivität gefördert. Hilfe zur Selbsthilfe ist hier nicht über Sachspenden, sondern nur über gezielte Geldspenden möglich. Auf der Rückfahrt durchqueren wir Kroatien, ein Land, das sich nach dem Tod des Präsidenten Franjo Tudjman im demokratischen Aufbruch befindet. Aber immer noch bieten Souvenirstände an den Autobahnraststätten Holzteller mit dem Konterfei des Ustasa-Chefs Ante Pavelic in Führer-Pose an. Eine der Wurzeln des blutigen Balkankonfliktes der 1990er Jahre führt zurück in das nationalsozialistische Deutschland, das 1941 den jungen Staatenverbund Jugoslawien zerschlug und sich im Kampf gegen die Serben des neu etablierten kroatischen Staates und seiner Ustasa-Partei bediente. Unter Tudjman, Milosevics kroatischem Gegenspieler, erstanden Name und Symbolik der Ustasa wieder auf. Bei den in Kroatien lebenden Serben aber war das Ustasa-Regime, dem im Zweiten Weltkrieg Hunderttausende von Serben, 30 000 Juden und eine unbekannte Anzahl von Roma zum Opfer fielen, nie in Vergessenheit geraten. Während der langen Autofahrt zurück nach Deutschland gehen mir die vielen Eindrücke aus Valjevo durch den Kopf. Manche verblassen schon. Eine Begegnung aber wird mir unvergeßlich bleiben: die Begegnung mit einem Überlebenden des Wehrmachtsmassakers von Kragujevac. Ljubomir Djordjevic stellt sein Glas in den leeren Aschenbecher, um uns die damalige Situation zu verdeutlichen. Das Glas stellt die Stadt Kragujevac dar, in der der nun 84jährige aufgewachsen ist. Das Rund des Aschenbechers symbolisiert den Ring, den die deutsche Wehrmacht im Oktober 1941 um die Stadt zog. Der alte Mann erzählt mit leiser Stimme: "Dann kamen die deutschen Soldaten in die Stadt. Sie holten mich und meinen Vater aus dem Haus. Alle Männer, die sie kriegen konnten, selbst Viertkläßler, verhafteten sie. Sie trieben uns aus der Stadt heraus zur Kaserne. Manche sind weggelaufen, die haben sie sofort erschossen. Sie sperrten uns in den Baracken ein. Durch ein Astloch in der Bretterwand konnte ich sehen, wie Juden und Kommunisten - Geiseln, die sie schon vor uns gefangen genommen hatten - erschossen wurden. Die ganze Nacht waren Schüsse zu hören." Der Tagesanbruch bringt kein Ende der grausamen Rache der Wehrmacht für einen Partisanenüberfall, bei dem zehn deutsche Soldaten ums Leben gekommen waren. Die Männer werden aus den Baracken getrieben und müssen in zwei Kolonnen Aufstellung nehmen. Deutsche Offiziere holen mit Hilfe Einheimischer einzelne Männer aus den Kolonnen heraus. Sie kommen auch auf Ljubomir zu. Ein Denunziant weist ein Foto vor, das Ljubomir als Teilnehmer einer antifaschistischen Demonstration zeigt. Sein Vater und ein ehemaliger Schulkamerad aber versichern: Ljubomir ist kein Kommunist. Zusammen mit dem Vater und anderen aus den Kolonnen ausgesonderten Männern wird er in eine Koppel gesperrt, in der sonst Pferde dressiert werden. Regungslos müssen sie dort den Tag über kauern. Es war ein strahlend schöner Tag, erinnert sich Ljubomir. Abends werden sie in die Stadt zurückgebracht. Vater und Sohn können nach Hause gehen, aber um Mitternacht klopft es ans Tor. Ein serbischer Polizist fragt nach "Lule" (Ljubomirs Spitzname) und bringt ihn zum Polizeigebäude. Er muß die Nacht stehend in einer überfüllten Zelle verbringen, weiß nicht, ob und wann man auch ihn erschießen wird. Am nächsten Tag transportiert man Ljubomir und die anderen Gefangenen auf Lastwagen aus der Stadt heraus. In einem Tal, auf einer Wiese neben dem Bach, müssen sie Gräber ausheben und Leichen bestatten. Es sind die Leichen der Geiseln und der Männer, die noch am Morgen zuvor mit Ljubomir in der Kolonne standen. 15 Tage dauerten die Begräbnisse, Ljubomir schätzt die Anzahl der Ermordeten auf 4000 bis 5000, andere Schätzungen sprechen von 7000 Opfern. Der serbische Polizeivorsteher gab Ljubomir den Rat, sich freiwillig zur Arbeit nach Deutschland zu melden; niemand wusste, welches Schicksal die Deutschen den Totengräbern zugedacht hatten. In Bremen stellte der gelernte Dreher Ljubomir in einer kleinen Rüstungsfabrik Achsen für U-Boote her. Sein Vorname, das erklärt er zum Abschluß unserer Begegnung, ist eine Zusammensetzung der Worte Liebe und Frieden. Ljubomir, der Friedliebende. Nun hat er einen Antrag auf Entschädigung für die Zeit der Zwangsarbeit in Deutschland gestellt. Für die Überlebenden des Massakers und die Angehörigen der Opfer aber gibt es keine Entschädigung und keine Wiedergutmachung. Beschämend ist auch dies: Unter deutscher Mitverantwortung bombardierte die NATO im Frühjahr 1999 die Stadt Kragujevac und traf auch die Gedenkstätte für die Opfer des Wehrmachtsverbrechens (s. Ossietzky 11/99). Vor unserer Abfahrt aus Valjevo überreichte uns die Sekretärin des Roten Kreuzes ein Geschenk von Ljubomir Djordjevic, mit dem er sich dafür bedankte, daß wir ihm zugehört hatten. Auf dem weißen Geschenkpapier stand: "Gliick liehe Reise! wünscht Ihnen Onkel Lule mit Frau Buljana." Mir kamen die Tränen.
Erschienen in Ossietzky 6/2002 |
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