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"Antiamerikanismus" - eine geistige Verirrung?

von Gregor Kritidis (sopos)


Vom Terror der faschistischen Landgendarmerie und der paramilitärischen Gruppen, der ohne die Unterstützung Großbritanniens und der USA nie möglich gewesen wäre, war ein großer Teil der griechischen Bevölkerung betroffen

In einem Rundfunkinterview zur Frankfurter Buchmesse am 9. Oktober 2001 versuchte die Moderatorin des Deutschlandfunks vergeblich, ihrer griechischen Gesprächspartnerin eine Erklärung der in Hellas so tief verwurzelten negativen Haltungen gegenüber der US-Politik zu entlocken. So hatten z.B. am 19. September während des Fußballspiels Panathinaikos - Mallorca Fans, statt die geforderte Schweigeminute für die Terroropfer einzulegen, "Mörder der Völker - Amerikaner!" skandiert.[1] Bei einem anderen Spiel wurde eine US-Flagge verbrannt, und am 27. September demonstrierten etwa 10.000 Menschen gegen den geplanten Krieg gegen Afghanistan, ein Teil davon zog bis vor die amerikanische Botschaft.

Dieses Verhalten ist für mich keineswegs überraschend. Der Sturz der mit Hilfe der CIA etablierten Obristen-Junta ist nicht einmal 30 Jahre her.[2] Jedes Jahr zieht am 17. November ein von linken Organisationen veranstalteter Demonstrationszug von der Polytechnischen Hochschule - dort wurde 1973 der Studentenaufstand blutig niedergeschlagen - zur amerikanischen Botschaft. Auf der Website des amerikanischen Außenministeriums wurden diese Demonstrationen bereits als "Terror" disqualifiziert.

Und es ist noch nicht lange her, daß die US-Regierung von der Regierung Simitis eine härtere Gangart in der Terrorbekämpfung und weitgehende Handlungsfreiheit für ihre Ermittlungsdienste in Griechenland gefordert hat. Solche Einmischungen in die inneren Angelegenheiten, zumal wenn sie mit der Beschneidung demokratischer Freiheitsrechte einhergehen, werden stets bis weit ins bürgerliche Lager hinein kritisch-ablehnend diskutiert. So ist nicht überraschend, daß die regierungsfreundliche Tageszeitung "To Vima" kürzlich die Anwesenheit amerikanischer Agenten bei einer Anti-Kriegsdemonstration anprangerte.[3]

Die amerikanischen Interventionen in Griechenland reichen in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Vor gut 50 Jahren wurde aufgrund der britischen und amerikanischen Intervention der Bürgerkrieg zugunsten der monarchistisch-antidemokratischen Kräfte entschieden. Winston Churchill schrieb in seinen Erinnerungen über den Beginn des Bürgerkrieges 1946:

"In diesem Augenblick nahm ich die Angelegenheit selbst in die Hand ... Es hat keinen Sinn, so etwas halbherzig zu tun. Man konnte der Gewaltlosigkeit, mit der die Kommunisten die Stadt erobern und sich der Welt als die vom griechischen Volk gewollte Regierung präsentieren wollten, nur mit Waffengewalt begegnen. Es blieb keine Zeit, das Kabinett einzuberufen. Anthony (Eden) und ich waren bis morgens um 2 Uhr zusammen. Wir stimmten völlig überein, daß man das Feuer eröffnen mußte."

Vom Terror der faschistischen Landgendarmerie und der paramilitärischen Gruppen, der ohne die Unterstützung Großbritanniens und der USA nie möglich gewesen wäre, war ein großer Teil der griechischen Bevölkerung betroffen; fast die Hälfte der Griechen war in der EAM (Nationale Befreiungsfront) oder ihren Vorfeldorganisationen Mitglied. Es gibt sehr viele Familien, die Opfer zu beklagen hatten. Die Linke war lange Zeit grundsätzlich vom öffentlichen Dienst und der höheren Bildung ausgeschlossen. Viele politische Gefangene kamen erst in den 60er Jahren während der kurzen Liberalisierungsphase frei, als die liberale Zentrumsunion einen überwältigenden Wahlsieg errang, manche erst nach dem Ende der Diktatur 1974.

Vor diesem Hintergrund ist der hierzulande vielgeschmähte "Antiamerikanismus" in Griechenland ein erklärbares Phänomen. Freilich sollen mit diesem Kampfbegriff in erster Linie kritische Haltungen gegenüber der politischen Führung der USA, den US-Geheimdiensten sowie der US-Army denunziert werden.


Anmerkungen

[1] Prin vom 23.9.2001.

[2] Vgl. Stephen Rousseas, Militärputsch in Griechenland, oder: Im Hintergrund der CIA, Reinbek bei Hamburg 1968. Sowie: Aris Fakinos/ Clement Lepidis/ Richard Someritis, Schwarzbuch der Diktatur in Griechenland, Reinbek 1970.

[3] To Vima, zitiert nach Prin vom 14.10.2001.

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https://sopos.org/aufsaetze/3bd9d1516c5b0/1.html