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Bildung und Bewußtsein im Fegefeuer des Neoliberalismus

Menschen aller Länder, vereinzelt Euch!

von Marcus Hawel



I.

Mein Vortrag trägt einen polemischen Titel. Keineswegs möchte ich damit behaupten, der Neoliberalismus sei ein religiöses System, oder eine Art Religion, die ihren Zorn ausübt auf die Menschen, die sich tatsächlich etwas zu Schulden kommen ließen - einer Sünde gleich - und nunmehr zu Recht auf dem Scheiterhaufen oder im Fegefeuer dafür büßen müßten. Die Metapher vom Fegefeuer paßt allerdings hinsichtlich der Ideologie des Gesundschrumpfens staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen nur allzu gut. Dem Fegefeuer rechnete man eine reinigende Kraft an, durch die den armen Seelen vor dem Eintritt in den Himmel ihre Sünden abgegolten wurden. Eine ebenso irrational anmutende reinigende Kraft wird auch der Individualisierung gesellschaftlicher Risiken und der Privatisierung gesellschaftlicher Verantwortung als Heilsversprechen gegen die gegenwärtige gesellschaftliche Krise beigemessen.

Gesellschaft geht durch das Fegefeuer der Verschlankung, Privatisierung und Vereinzelung. Aber das, was gemeinhin als Neoliberalismus bezeichnet wird, ist reelleren Charakters als die katholische Vorstellung vom Fegefeuer; es kommt zugleich dem Anschein nach etwas harmloser daher: es ist nicht die offene, nackte Gewalt wie die eines Scheiterhaufens, die die Menschen unterm Neoliberalismus foltert. Die Menschen leiden unter einer versteckten, so nicht sichtbaren Gewalt, einem repressiven Zwang der Verinnerlichung der "Moral des Marktes", der frei und immer freier wuchert und den gemeinwohlorientierten Menschen zum Verhängnis wird. Allenthalben genießt jene Moral des Marktes in der neoliberalen wie einst in der liberalen bürgerlichen Gesellschaft einen quasi religiösen Status. Das soll heißen, daß der Neoliberalismus im Bewußtsein der Menschen als unantastbares Naturereignis mit religiöser Demut und Schicksalsergebenheit hingenommen wird. Die versteckte Gewalt ist aber, nur weil sie so nicht sichtbar ist, nicht gleich weniger gewalttätig.

Die Verinnerlichung neoliberaler Werte zielt nicht auf den Körper, sondern auf die Psyche und beeinflußt noch das Wünschen und Begehren. Der Geisteswissenschaftler und Bestsellerautor Schwanitz spricht in diesem Zusammenhang von den Studenten als von einem Typus, der Liebesbeziehungen lediglich als Sättigungsbeilage versteht. Selbst noch in die Lust hat der Leistungsfetisch sich hineingeschlichen. Der Zustand einer Gesellschaft läßt sich auch daran ablesen, welchen Rang die in ihr vergesellschafteten Menschen der Liebe geben. Der allseits verfügbare humankapitale Mensch geht keine wirklichen und festen Bindungen mehr ein; er würde seine von allen vergottete Flexibilität einbüßen. Er hat ein instrumentelles Verhältnis zum Sex, der nach der Notwendigkeit der Situation eingesetzt oder abgestellt wird, ohne daß sich jemals darin versenkt würde. Bis in den intimsten Bereich hinein werden Äquivalente getauscht. Von Liebe wird der neoliberale Mensch nicht mehr großartig gerührt, aber auch nicht verblendet.

Ein Gespenst geht um in der Welt: das Gespenst des Neoliberalismus. Menschen aller Länder, vereinzelt Euch!

Es steht die dringende Frage im Raum, was der Mensch eigentlich ist? Was wird dem Menschen zugemutet? Wie verändert sich das Bewußtsein, das schließlich Erfahrungen verarbeiten soll? Man muß darauf reflektieren, wie sich in dieser Zeit unsere Ziele, unser Wünschen und Begehren, das Denken und Fühlen verändert, während wir es zunächst nicht einmal mitbekommen. Wie fühlt sich das an, als Humankapital behandelt zu werden? Und wie humankapitalistisch fühlen und denken wir bereits selbst schon dort, wo wir die Verstümmelung des Menschen zum Humankapital aufs schärfste kritisieren und verurteilen? Nur mit Schrecken kann man hinnehmen, wie total die Sphäre des Marktes die Privatheit kassiert hat. "Unternehmerische Qualitäten" werden als Verhaltensmaßregeln selbst für die Freizeit angepriesen: sei selbständig, innovativ und jung, flexibel, mobil und dynamisch. Begreife dich als Humankapital, kapitalisiere deinen Körper und deine Psyche. Ein Gespenst geht um in der Welt: das Gespenst des Neoliberalismus. Menschen aller Länder, vereinzelt Euch!

Einem bundesweiten Hochschulmagazin (unicum) konnte man zur Zeit der studentischen Proteste 1997/98 Tips für das Erlernen der ökonomischen Selbständigkeit entnehmen. Der Leser wurde konfrontiert mit einer Ckeckliste für Existenzgründer. Ihm wurde suggeriert, er müsse, um im Trend zu sein, ein Unternehmen gründen. Vorher habe er keine Existenz. Seine ersten Schritte und Maßnahmen konnte er tabellarisch mit ja/nein/erledigt ankreuzen: Gewerbeanmeldung bei der Stadt- oder Gemeindeverwaltung, Anmeldung bei der Industrie- und Handelskammer, Beantragung der Betriebsnummer beim Arbeitsamt, Anmeldung beim Einzelhandelsverband usw. - das wichtigste aber tauchte nicht auf: was für ein Unternehmen sollte der Leser eigentlich gründen, mit welchem Inhalt? Es ist nicht ganz so einfach, ein erfolgreiches Unternehmen zu gründen, es ist mit mehr Risiko verbunden, als uns die neoliberale Animateurideologie spielerisch glauben machen will. Und noch die ökonomische Selbständigkeit täuscht nicht über den eigentümlichen Charakter kapitalistischer Unternehmung hinweg: daß auch sie nichts als zusätzliche Entfremdung ist. Schizophren wird es, der Notwendigkeit Tribut zu zollen, den Profit der eigenen Unternehmung permanent zu steigern, andererseits aber auch mehr Lohn und Freizeit von sich zu fordern. Solches Denken ist gespalten und nur für den Preis seiner weiteren Verdinglichung aufrechtzuerhalten. Oder anders gesagt: man beutet sich selbst aus dabei kann es einem nicht besonders gut ergehen.

Was macht Gesellschaft aus? Ist sie noch mehr und kann sie noch mehr sein als ein Freiluftgefängnis oder kollektives und absurdes Moratorium, in dem wir - um unsere Ziele und Wünsche betrogen - gebannt auf etwas warten, was wie Godot bestimmt gleich wieder kommt oder wie der Messias so richtig auf sich warten läßt?

Es steht die dringende Frage im Raum, was die besseren Möglichkeiten des Menschen wären? Sich selbst auszubeuten ist gegenüber der Ausbeutung durch andere nicht die bessere Alternative. Was macht Gesellschaft aus? Ist sie noch mehr und kann sie noch mehr sein als ein Freiluftgefängnis oder kollektives und absurdes Moratorium, in dem wir - um unsere Ziele und Wünsche betrogen - gebannt auf etwas warten, was wie Godot bestimmt gleich wieder kommt oder wie der Messias so richtig auf sich warten läßt? Mag sein, daß absurde Heiterkeit eine adäquate Reaktion auf die stumpfen, sinnentleerten Verhältnisse ist, aber besser ist es, die Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Gesellschaftliche Verhältnisse haben nicht die Schicksalhaftigkeit von Naturgewalten; sie sind veränderbar.

Ich behaupte deshalb nicht, wie der Vortragstitel vielleicht nahelegen könnte, daß Bildung einzig Geistesbildung sei. Bildung ist mehr als bloßes Bewußtsein. Daß gerade in Deutschland unter Bildung einzig Geistesbildung verstanden wurde, ist ein spezifisch deutsches Problem, das historisch bedingt und erklärbar ist. Aber die Problematik der Bildung als bloße Geistesbildung ist sehr tiefenschichtig. Auf der einen Seite gilt die elfte Feuerbachthese von Marx, daß die Philosophen die Welt verschieden interpretiert hätten, und es darauf ankomme, die Welt auch zu verändern. Diese Feuerbachthese ist andererseits kritisch zu hinterfragen: sie ist nicht unbeschädigt geblieben, weil heutzutage jeder Unternehmer die Welt nach seiner Unternehmensphilosophie interpretiert und auch verändert. Gelte es überdies, von den Philosophen zu erwarten, daß sie, nachdem sie die Welt auf verschiedene Weise interpretiert haben, diese nun auch verändern, und bliebe dies etwa auch nur die alleinige Aufgabe der Philosophen, so würde beruhend auf dieser gemachten Voraussetzung eine veränderbare Welt die immergleiche Illusion und Lebenslüge sein. Denn man kann aus den wenigen Philosophen keine Berufsrevolutionäre machen, von denen alles abzuhängen habe. Außer man spreizte den Begriff der Philosophie so weit, daß er selbst noch in der alltagsreligiösen Weltanschauung des gesunden Menschenverstandes oder in den Unternehmensphilosophien aufginge; so wären alle Menschen, die eine Meinung haben, Philosophen zu nennen. In diesem Fall käme es in der Tat auf diese an, die Welt zu verändern (auf wen sonst?) - jedoch nach welchen Konzepten und Inhalten, nach welcher Theorie? "Die Meinung ist die Küche, worin alle Wahrheiten abgeschlachtet, gerupft, zerhackt, geschmort und gewürzt werden", schreibt Ludwig Börne in seinem Aufsatz "Die Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller zu werden". Die Gleichsetzung von nicht-durchdachter Meinung mit Theorie des Begreifens ist Ausdruck eines geistfeindlichen Impulses. Dieser führt zurück oder bleibt in dem Zustand der Naturwüchsigkeit gesellschaftlicher Veränderung - dem bloßen Wuchern. Die elfte Feuerbachthese trägt diesen Impuls vielleicht latent, aber in jedem Fall manifest in der Engelschen Abwandlung[1] schon oder immer noch in sich. Zudem trifft sie nicht gleichermaßen auf alle Philosophen zu: viele haben nicht nur im Reich des Geistes sich aufgehalten. Gerade Hegel, von dem man das nicht erwarten würde, gab seinen Zuhörern in der letzten Vorlesung zur Geschichte der Philosophie mit auf den Weg, sie hätten auf die Maulwurfsarbeit des Geistes zu achten und zur richtigen Zeit diesem zu seiner Verwirklichung zu verhelfen: "Ich wünsche", sagte er, "daß diese Geschichte der Philosophie eine Aufforderung für sie enthalten möge, den Geist der Zeit, der in uns natürlich ist, zu ergreifen und aus seiner Natürlichkeit, d.h. Verschlossenheit, Leblosigkeit hervor an den Tag zu ziehen und - jeder an seinem Orte - mit Bewußtsein an den Tag zu bringen."

Im Innern des Elfenbeinturms - das Gefängnis der Theorie - darf die Gesellschaftstheorie noch einmal ihr eigenes Verständnis überdenken. Sie bekommt lebenslänglich, wenn sie stur bleibt und sich von der Theorie nicht trennt. Liquidiert sie aber die Theorie an sich selbst, darf sie mit gestutzten Flügeln als gesunder Menschenverstand den Turm wieder verlassen. - Mit gestutzten Flügeln kann sie nicht mehr zur Freiheit fliegen.

Es ist zunächst nicht die Aufgabe der Theorie, einen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken. Theorie kann überhaupt nur bestehen in Abgrenzung zur Praxis; eine kritische Theorie ist notwendig gleichzeitig mit Praxis verbunden. In der Spontaneität ist naturwüchsig das Bewußtsein mit Handeln verknüpft. Erst mit der Kontrolle von Affekten ermöglicht sich die Distanz zur naturwüchsigen Betriebsamkeit. Denken entwickelt sich durch aufgeschobenes oder verzichtetes Handeln. Und das Resultat des Denkens ist die Theorie; sie macht erst aus dem Handeln eine Praxis: begriffene, reflektierte Tat. Die Trennung von Denken und Handeln ist hier notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Theorie und Praxis. Will aber die Theorie nicht bloß interpretieren, sondern als kritische auch verändern, ist sie auf die Praxis angewiesen. Sie muß, nachdem sie sich an der zeitlichen und räumlichen Trennung von Denken und Handeln bereichert hat, diese Trennung wieder aufheben.

Den Gesellschaftstheoretikern wird ja vorgeworfen, sich außerhalb von Gesellschaft in ihren Elfenbeintürmen aufzuhalten. Ihre Distanz zum Betrieb, zur Politik wird ihnen übelgenommen. Verläßt der Gesellschaftstheoretiker seinen Elfenbeinturm, eingedenk der politischen Intervention, wird gleichsam ihm entgegnet: das gehöre nicht hierher. Das sei doch Theorie, und auf Theorie seien die Menschen nicht vorbereitet. Schließlich wird der Theorie dann noch ihr Rang als Wissenschaft abgestritten: das sei nicht beweisbar und eine äußerst gewagte These. Ganz zuletzt ist Gesellschaftstheorie sogar weniger als gesunder Menschenverstand: bloße Träumerei, die jeglichen Realismus entbehre und darum ganz zu Recht in den Elfenbeinturm eingesperrt gehöre. Im Innern des Elfenbeinturms - das Gefängnis der Theorie - darf die Gesellschaftstheorie noch einmal ihr eigenes Verständnis überdenken. Sie bekommt lebenslänglich, wenn sie stur bleibt und sich von der Theorie nicht trennt. Liquidiert sie aber die Theorie an sich selbst, darf sie mit gestutzten Flügeln als gesunder Menschenverstand den Turm wieder verlassen. - Mit gestutzten Flügeln kann sie nicht mehr zur Freiheit fliegen.

II.

Bildung ist mehr als bloße Geistesbildung, mehr als die Befreiung im Geiste. Man kann vielleicht in einem ganzen Leben eine Menge und zumeist gescheiter Bücher gelesen haben und trotzdem nicht gebildet sein. Es spricht doch für sich selbst, wenn es heißt, daß hundert Schüler zur Zeit Montaignes - einem großen Skeptiker, der im 16. Jahrhundert lebte - die Syphilis bekommen hätten, bevor sie im Aristoteles bis zum Kapitel über die Mäßigung angekommen waren. Das Wichtige sollte man also früher erfahren und nicht erst aus Büchern ziehen müssen. Das Gelesene oder Gelernte will auch selbst erprobt werden. Das soll heißen, daß Bildung und Erziehung nicht vom alltäglichen Leben getrennt sein dürfen. Sie müssen einander durchdringen mit Liebe und Wahrheit. Besser wäre es also im Zusammenhang mit Bildung nicht nur von Bewußtsein zu sprechen, sondern auch von der Erfahrung und von der gekonnten Verrichtung, dem Tätigwerden - also der Praxis - dem aktiven Gestalten von Verhältnissen und dem Eingreifen in gesellschaftliche Prozesse.

Der Begriff der Bildung war ein dialektischer. Ohne groß entfalten zu müssen, was Dialektik ist, wird man verstehen können, was damit gemeint sein kann. In einem Interview zu Kernkraftwerken äußerte Herbert Marcuse einmal folgendes: "Wir hätten nicht die Scheiße, die wir haben, wären wir nicht die Scheiße, die wir sind." Und man muß ergänzen: Wir wären nicht die Scheiße, die wir sind, hätten wir nicht die Scheiße, die wir haben. Obwohl diese Bemerkung sich fast von selbst erklärt, möchte ich einige sachlichere Gedanken hinzufügen: Das Individuum befindet sich in einer äußerst widersprüchlichen Situation. Einerseits ist es stets aus Notwendigkeit dazu genötigt, sich an das jeweils Gegebene anzupassen - Anpassung an ein Bestehendes, an dessen Gewordenheit das besondere Individuum keinen Anteil nehmen konnte, weil es in das Bestehende hineingeboren wird. Nun muß aber das Individuum sich an seiner Außenwelt orientieren, um nicht unterzugehen. Freud spricht in diesem Zusammenhang vom Realitätsprinzip, welches das Lustprinzip beherrsche. Das philosophische Pendant hierzu wäre, daß erst die Einsicht in die Notwendigkeit Freiheit ausmache (Hegel). In diesem Sinne ist Anpassung ans Bestehende gleichbedeutend mit einer notwendigen, weil überlebenswichtigen Orientierung. Gleichwohl ist aber das Bestehende, nur weil es besteht, nicht unbedingt auch gut und vernünftig eingerichtet. Die Anpassung vollzieht das Individuum demnach vielleicht an ein schlechtes Bestehendes, das also erst noch vernünftig umgestaltet werden müßte. Nun hat aber das Individuum im Zuge der lebensnotwendigen Anpassung an seine Außenwelt einen Teil des schlechten Ganzen (herrschaftliche Momente wie z.B. autoritäres Verhalten - das ist die Scheiße, die Marcuse meint) verinnerlicht, und es müßte sich wiederum davon befreien. Aber immer wieder bestünde die Gefahr, sich von den schlechten Verhältnissen erneut vergiften zu lassen, solange die Verhältnisse nicht selbst entgiftet würden. "Bildung ist so sehr Bildung des äußeren Ganzen, wie gerade damit Bildung seiner selbst. Niemand ist gebildet, der nicht in Hingabe an seine eigene Sache ihren Zusammenhang mit dem Ganzen erkennt." (Horkheimer) Oder was dasselbe meint: es gibt ein dialektisches Spannungsverhältnis zwischen dem gesellschaftlichen Ganzen und den Individuen.

In dem Augenblick, wo das Moment des gesellschaftlichen Ganzen aus dem Blickfeld der Einzelnen gerät, gelangt die bestehende Herrschaftsform zur Allherrschaft über das bloß Vorhandene: über die Menschen. Das Bestehende wird als gottgewollte, natürliche oder gesetzlich richtige Ordnung akzeptiert: als Rahmen, über den nicht hinausgeschritten werden könnte. Ganz gleich, wie vernünftig oder unvernünftig die Gesellschaft eingerichtet ist, sie dient als alternativlose Orientierung, als Maßstab fürs Handeln und Denken. Herrschaft kann somit nicht mehr in Frage gestellt werden; sie verschleiert und maskiert sich als Freiheit - als falsch verstandene und unwahre Freiheit.

Es ist absurd, die einzelnen Individuen unter Beibehaltung einer Herrschaftsformation - und der Kapitalismus ist eine ziemlich rigide Herrschaftsformation - befreien zu wollen; sie müßten sich ja stets wieder ans herrschaftliche Ganze, an den kapitalistischen Alltag anpassen und vegetierten mehr schlecht als recht vor sich hin. - In diesem Sinne nahmen sich der Katholische Kirchentag und der lucky strike der Studenten - beides fand zur gleichen Zeit - statt nicht viel: beide hatten dieselben unreflektierten Forderungen nach mehr Solidarität und weniger Konkurrenz unter Beibehaltung der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft, als ginge es darum, an das Gute im Menschen zu erinnern. Die Gesinnungsmoral und die Heilsverkündung der political correctness sind en vogue; diese entpolitisierte und privatisierte Form des Protestes muß als Rückzugsgefecht angesehen werden, das einerseits belegt, wie sehr es an theoretischer Durchdringungskraft mangelt und andererseits, wie ohnmächtig soziale Bewegungen derzeit sind.

Manche haben allmählich verstanden, daß die sogenannte Krise der Universitäten nur wirklich im Zusammenhang der allgemeinen Krise des gemeinwohlorientierten und solidarisch organisierten Sozialstaats, der unterm Neoliberalismus in seinen Resten zerstört wird, begriffen werden kann. Unter Krise der Universität verstehe ich hier einen Ausdruck des Mißverhältnisses zwischen der sogenannten objektiven, d.h. kapitallogischen Funktion der Hochschulen und einer emphatisch verstandenen Aufgabe der Hochschulen als Institutionen emanzipatorischen Bewußtseins. Es wurde einem ökonomischen Prinzip der Kampf angesagt, ohne konsequent die gesellschaftlichen Konfliktlinien auch innerhalb der Universität weiter zu verfolgen. In unserer geistigen Umnachtung - ganz besonders deutlich an den spontaneistischen und infantilisierten Protestformen zu erkennen - waren alle Kühe auf der Campusweide schwarz. Die Studenten wurden als Studenten mobilisiert und formierten sich zu einer Studentengemeinschaft - unterschiedslos, als ob alle Studenten aus denselben Milieus und Schichten kämen und dieselben ökonomischen Interessen verfolgten. Ein Protest aber, in dem die Klassendifferenzen nicht begriffen sind, verstrickt sich unaufhaltsam in der Zementierung des Bestehenden. Der studentische Protest ist deshalb so lange offene Türen eingerannt, bis er seiner Bemühungen überdrüssig wurde.

Es hat auch an geschichtlichen Bewußtsein gemangelt. Natürlich hatten diejenigen Recht, die meinten, man könne 1968 und 1998 nicht unmittelbar gleichsetzen. Aber ein Vergleich, der die geschichtliche Kontinuität trotz Differenz und die geschichtliche Differenz trotz Kontinuität freilegt, wäre allenthalben ein Erkenntnisgewinn gewesen, der zusätzliche Motivationen und ein Quantum nötiger Selbstverständigung hätte bewirken können. Es geht auch darum, dem Wandel eine Perspektive entgegenzusetzen und emanzipative Gehalte aus der Geschichte in die heutige Zeit hinüberzuretten, statt sie dem kollektiven Vergessen preiszugeben. Wenn Pasolini bereits sehr früh die italienischen Studenten von 1968 im Visier seiner Kritik hatte und zutreffend mitteilte, sie stellten eine kleinbürgerliche Bewegung dar, die bloß auf eine Modernisierung des Landes hinauslaufe, so trifft diese Kritik viel evidenter auf die heutige Generation der Studenten zu, die sich sogar als willfährige Erfüllungsgehilfen erwiesen haben. Die damals zu Pasolinis Zeiten sich herauskristallisierende neue Herrschaft der Konsumgesellschaft setzt neue Mittel ein. Keine Gegeninstitutionen müssen qua Autorität und Gewalt gleichgeschaltet werden, sondern sind innerlich ins Systemgetriebe integriert, für das System nutzbar gemacht, indem sie selbst an der Herrschaft partizipieren. Die Studenten sind ein Teil dieser neuen Herrschaftsformation; sie verhalten sich systemkonform noch dort, wo sie protestieren und radikale Forderungen stellen, aber sich mit technokratischen Zugeständnissen zufrieden geben. Das Scheitern des Prinzips Gegenöffentlichkeit ist heute klar ersichtlich. Gegenöffentlichkeit ist nur die andere Seite der herrschenden Öffentlichkeit: das schlechte Gewissen der Herrschaft, das in der Krise alarmiert und zum Zwecke des Herrschaftserhalts zu Korrekturen innerhalb des Ganzen zwingt. Pasolini empfahl als Gegengift zum kleinbürgerlichen Radikalismus der Studenten den Eintritt in die Kommunistische Partei. Als wirkliche Alternative mag das immer schon nur für die italienischen Verhältnisse gegolten haben. Heute wäre es schon ein Fortschritt, den Illusionen in den Parlamentarismus eine Abfuhr zu erteilen. Der Glaube an den Parlamentarismus behindert das Aufleben der sozialen Utopien, die es wieder zu entwerfen gilt, weil von ihnen der Impuls der gesellschaftlichen Erneuerung ausgeht.

III.

Daß aber soziale Utopien nicht aufleben, hat vor allem damit zu tun, daß unter Bildung kaum etwas anderes mehr verstanden wird als ein praktisches Mittel, die berufliche Laufbahn vorteilhafter zu gestalten. Die Worte Bildung und Ausbildung werden viel zu oft synonym verwendet; unter beiden wird unbegriffen nicht mehr verstanden als der Erwerb von Vorkenntnissen für spezielle Berufe. Daß selbst unter Politikern, Journalisten und Universitätsangehörigen gleichermaßen die Einebnung der Bildung zur Ausbildung vorangetrieben wird, macht die Brisanz der aktuellen Bildungskrise aus.

Die Forderung nach allgemeinem Zugang zu den Hochschulen ("Bildung für alle") bedeutet unter gegebenen Umständen, jedem Menschen unabhängig seiner Herkunft das Recht einzugestehen, über andere Menschen qua angeeigneten Wissens zu herrschen. Die Ideologie der Chancengleichheit sichert dem Kapital zudem den von dem Stand der Produktivkräfte abhängigen Bedarf an fachspezifisch ausgebildeten technischen und wissenschaftlichen Arbeitskräften.

Mit der "Demokratisierung" der Schulen und Hochschulen, die Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts begann, erhöhte sich der Anteil der jungen Menschen aus Arbeiterfamilien an den Universitäten stetig. Mit der Sozialisierung der Bildung ging aber auch eine Inflation des "Wertes" von hohen Schulabschlüssen einher. In den Hochschulen und Schulen werden die Schüler und Studenten, die aus ökonomisch und kulturell benachteiligten Familien kommen, intern ausgegrenzt. Wenn sie nicht scheitern, erlangen sie lediglich einen fast völlig entwerteten Titel.[2] Diese interne Ausgrenzung funktioniert sowohl über kulturellen Habitus wie auch darüber, daß die finanziell am stärksten benachteiligten Studenten während ihres Studiums schlechtbezahlte Jobs annehmen müssen, um ihr Leben zu finanzieren. Darüber verlängert sich zwar ihr Studium, und hinter langen Studienzeiten vermuten die Herrschenden bummelnde Studenten, aber vor allem immer mehr Personen, die nicht durchsetzungsfähig, leistungs- und willenstark sind. Bevorzugt werden schnelle Studenten, die - der neoliberalen Ideologie gemäß - die Fähigkeit zur Innovation und Leistung bewiesen haben, indem sie während ihrer Studienzeit schon die Weichen für ihr zukünftiges Berufsleben und für ihre Karriere gestellt haben. Weit verbreitet ist auch die Auffassung, daß diese Weichenstellung bereits in der Wiege vorgenommen wurde. Der Bildung wird keine Zeit gelassen. Zeit kann sich das System nicht leisten. Zeit sei Geld. "Zeit aber steht für Liebe; der Sache, der ich Zeit schenke, schenke ich Liebe;" schreibt Horkheimer, "die Gewalt ist rasch."[3] Die neoliberalen Forderungen, Anreize für ein schnelles und Strafen gegen ein langes Studium einzuführen, sind Formen der Gewalt, die auf die Reduktion des Menschen auf die Ware Arbeitskraft zurückzuführen sind. Nach kapitalistischen Prinzipien müssen diese Menschen als Humankapital optimal verwertet werden. Optimale Verwertung geht einher mit der Produktion egoistischer Idioten[4] und Automaten, die im Systemgetriebe optimal funktionieren, aber in Wahrheit kaum über soziale Kompetenzen verfügen; diese hätten sie erlernen können im politischen Engagement für eine Sache, in ganz normaler Beziehungsarbeit und auch in Gruppenarbeitsverhältnissen. Weil diese vorschnellen und fixen Studenten tendenziell auf diese Lebenssphären verzichten zugunsten eines schnellen Studiums - denn Betätigung in diesen Sphären bedeutet Aufenthalt und Verzögerung - verfügen sie kaum über soziale Fähigkeiten und verlassen die Hochschulen als Egoisten und Idioten, als Verkörperung des Konkurrenzprinzips, als willige Erfüllungsgehilfen des Marktes, als klassische, das Bestehende affirmierende Ja-Sager.

Daß Bildung offensichtlich wieder als Besitz guter Manieren verstanden wird, verweist um so deutlicher auf jene Rückbildung einer Gesellschaft, die sich einstellt, wenn das Spannungsfeld zwischen der Bildung des gesellschaftlichen Ganzen und dem Bilden der Einzelnen erloschen ist, reduziert auf bloße Anpassung der Einzelnen an ein fixiertes Bestehendes.

Selbst ein verdinglichter Begriff von Bildung, verstanden als Prozeß, in dem sich das Subjekt Kulturgüter aneignet - als habe Bildung etwas mit Besitz zu tun -, scheint dieser Verwertungslogik gemäß den Profitinteressen bereits unpraktisch und umständlich zu werden. Etwas wert ist längst nicht mehr der, welcher Goethe und Schiller zitieren kann, sondern wer über bloße sogenannte Sekundärtugenden verfügt wie Redseligkeit, Charisma, Schläue und das ganze Spektrum der guten Manieren, die sich bereits in "guten Familien" erlernen lassen. Als ungebildet gelten diejenigen, die sich ungeschliffen, roh[5] und in diesem Sinne asozial gebärden. Solche ungebildeten Menschen werden ebenfalls intern ausgegrenzt. Der Bildungsbegriff, auf den hier rekurriert wird, schien längst obsolet geworden zu sein; er wiederholt sich als Farce: Bildung als Kultivierung der primitiven Natur. Daß Bildung offensichtlich wieder als Besitz guter Manieren verstanden wird, verweist um so deutlicher auf jene Rückbildung einer Gesellschaft, die sich einstellt, wenn das Spannungsfeld zwischen der Bildung des gesellschaftlichen Ganzen und dem Bilden der Einzelnen erloschen ist, reduziert auf bloße Anpassung der Einzelnen an ein fixiertes Bestehendes.

Was demgegenüber unter Ausbildung verstanden wird, trägt einem Prozeß Rechnung, der in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen hatte und die ökonomische Grundlage der Reformbestrebungen der Universität darstellte: die Abkehr von der tayloristisch geprägten Produktion. Das, was 1968 als Reformprojekt seinen Ausgangspunkt nahm, geht nunmehr seiner Verwirklichung entgegen - entledigt allen humanistischen Ballasts.[6] Diese Reform trägt der Zunahme gesellschaftlicher Komplexität Rechnung: aufgrund immensen technischen Fortschritts nimmt auch die Spezialisierung in immer detaillierteren Einzelbereichen zu. Die Tätigkeiten der nützlichen Arbeit sind weitgehend reduziert auf das bloße Kontrollieren der Maschinen, auf Verwaltung. Die tendenzielle Beschränkung der Tätigkeiten auf das reine Verwalten macht also die qualitative Neuerung in der Ausbildung aus. Gefragt ist der Fachmensch, dessen Fähigkeiten abgestimmt sind auf jene bürokratische Organisation, von der Max Weber schon schrieb, sie sei technisch jeder anderen Form überlegen. Der Einzelne ist lediglich nur noch ein Rädchen in dem riesigen Apparat, der Gesellschaft ausmacht. Das, was die geistige Produktion von Kultur noch voraussetzte und in diesen für den Rezipienten der Möglichkeit nach zum Greifen nahe lag, fällt der abstrakten Negation zum Opfer: Autonomie, Spontaneität und Kritik. Autonomie wird verlernt, weil der Mensch sich in ein stets Vorgeordnetes einfügen muß und mit Sachzwanglogiken konfrontiert wird. Die Spontaneität verkümmert, weil die Verrichtung der Tätigkeiten einem standardisierten Prinzip gehorchen und zumeist vollautomatisiert oder computerisiert sind. Kritik macht sich rar, weil sie allerorten auf heftige Feindseligkeit stößt.

Der Neoliberalismus attackiert nunmehr die sogenannte Überbürokratisierung aus Gründen der Effizienz und setzt an deren Stelle das Lean-Management, so daß auch in die noch-staatlichen Schnittstellen gesellschaftlicher Regulierungen Konkurrenzmechanismen und Profitlogik Einzug halten können. Privatisierung gesellschaftlicher Verantwortung um jeden Preis gilt als höchstes Ideal. Das affiziert seit drei Jahrzehnten nicht nur einen wie auch immer verstümmelten Bildungsbegriff, sondern grundsätzlich das Verhältnis von Staat, Kapital und Gesellschaft. Die neoliberale Ideologie der Privatisierung hinterläßt vom Staat nicht mehr als sein nötiges Gerippe - die Funktion des Gewaltmonopols - und leistet dem survival of the fittest als totale Entfesselung der Konkurrenz zwischen den Vereinzelten Vorschub.

IV.

Bildung, die im Korsett der Kapitalinteressen stetig schlanker geschnürt wird, liegt so lange schon in Ohnmacht, daß kein bloßes Riechsalz ihr auf die Füße helfen könnte. Gesellschaft im Spätkapitalismus steht immer noch im Zeichen der Unfreiheit. Der Bildungsbegriff im Spätkapitalismus ist ein Nicht-Begriff, der Spuren, die an größere Zeiten erinnern, in sich trägt. Zugleich könnte in diesen Spuren seine Revitalisierung angelegt sein. Wirkliche Bildung, die ihrem Anspruch gerecht würde, müßte sich, das Individuum und die Gesellschaft vom Konkurrenzprinzip befreien. Die Formulierung von Bedürfnissen und Interessen, in denen der Mensch als Mensch sich selbst Zweck ist und dabei nicht dem falschen Schein seiner vermeintlichen Autonomie aufsitzt, hängt gerade von dem Vermögen der Reflexion auf die Fremdbestimmtheit seines Lebens ab, das bis in die intimsten Bereiche hinein vermittelt ist durch die kapitalistische Gesellschaft und ihren Äquivalententausch. Die Reflexion auf den Zwang totaler Vergesellschaftung, auf die subtilen Formen kapitalvermittelter Autorität und Herrschaft würde heutzutage Bildung ausmachen: vermöge des eigenen Geistes den objektiven Verblendungszusammenhang dieser Gesellschaft zu durchdringen, sich selbst im Bestehenden zu verorten, zu reflektieren auf die eigene Rolle, die man im Bestehenden spielt, auf die Funktion, die man unbewußt und automatisch ausübt.

Selbstverortung im Ganzen heißt im Zusammenhang mit Bildung aber auch, das bloße Dasein in der Rolle, die Funktion, den gesellschaftlichen Zwang und Herrschaft in Frage zu stellen. Die Reflexion zielt einerseits auf das Selbst als den ganzen Menschen und denunziert die partikulare Funktionsbestimmtheit im Kapitalismus als unmenschlich: der Mensch geht in ökonomischen Kategorien nicht auf. Im Kapitalismus ist er ausbeutbares lebendiges Mittel zu Zwecken außerhalb seiner selbst: der Kapitalakkumulation. Andererseits zielt die Reflexion nicht minder auf das gesellschaftliche Ganze und denunziert auch hier die Einseitigkeit der Zweckbestimmung als Unfreiheit: auch Gesellschaft geht in ökonomischen Kategorien nicht auf. Kapitalistische Ökonomie und Staat sind Barrieren für den Fortschritt der Gesellschaft im allgemeinen und für das Leben der Individuen im besonderen. Bildung müßte heute, um Bildung zu sein, diese Problematik zum Gegenstand haben; sie wäre insofern bestimmte Kritik, Parteinahme fürs Nicht-Bestehende. Bildung hätte sich gerade auch auf das zu beziehen, was unterm Kapitalismus sich zurückbildet oder zugerichtet wird: zum Beispiel die Phantasie. Die gestalterische, schöpferische Kraft des Menschen, die Marx in den Grundrissen als lebendiges und gestaltendes Feuer beschreibt und als lebendige Arbeit bezeichnet,[7] erleidet im kapitalistischen Produktionsprozeß den Verlust ihres schöpferischen Glücks. Entwicklung, Entfaltung und Ausbeutung der Produktivkraft lebendiger Arbeit funktioniert qua Zurichtung der Phantasie und Kreativität. Euphemistisch wird das Disziplinierung genannt. Dahinter steht aber ein Gewaltverhältnis, vermöge dessen die Menschen auf Anpassung getrimmt werden, indem sie ihre Kreativität und Phantasie verlieren. Ihre Wünsche und Träume verblassen hinter der stumpfen Arbeit, die ihren Alltag bestimmt. Die wilden Energien der lebendigen Arbeit sind gebändigt, für das bestehende Ganze zwecks kapitaler Verwertung nutzbar gemacht.

Statt der Fetischisierung der Leistung und des Nutzens anheimzufallen, mithin die kapitalistische Produktionsweise als Selbstzweck im Denken zu reproduzieren, müßte Bildung bedeuten, soziale Utopien zu entwerfen, die uns der befreiten Gesellschaft ein Stück näher bringen.

Ohne Phantasie aber keine Utopie. Ohne Utopie ebenso keine reflektorische Praxis, die sich eine befreite Gesellschaft und befreite Individuen zum Ziel nimmt. Das Denken des Ganz Anderen bedeutet heutzutage die Befreiung des Individuums von dem gesellschaftlich anbefohlenen Utopieverbot. Statt der Fetischisierung der Leistung und des Nutzens anheimzufallen, mithin die kapitalistische Produktionsweise als Selbstzweck im Denken zu reproduzieren, müßte Bildung bedeuten, soziale Utopien zu entwerfen, die uns der befreiten Gesellschaft ein Stück näher bringen.

Gerade vermöge der Phantasie, vermittels derer die Realität mit der Idee, die Wirklichkeit mit der Möglichkeit konfrontiert wird, erweist sich Kritik erst als wirkliches movens für Geschichte, neben der materiellen also auch die geistige Arbeit als bewegende Kraft, die das Bestehende zu transzendieren vermag. Man muß den phantasielosen Planern und den planlosen Phantasten das Handwerk legen. Es macht absolut keinen Sinn, wie ein Kaninchen vor der Schlange gebannt und untätig darauf zu warten, daß etwas passiert. Immer noch kommt es darauf an, die Welt zu interpretieren und zu verändern.


Anmerkungen

[1] "... es kommt aber darauf an, sie zu verändern."

[2] Vgl. Pierre Bourdieu et al: Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz 1997, S. 529.

[3] Max Horkheimer: Begriff der Bildung, GS Bd. 8, S. 411.

[4] Nicht zufällig geht der Idiot auf das alt-griechische idiotes ­ der Privatmann zurück.

[5] Dieser Sachverhalt erinnert an Hobbes' Idee der "Bändigung des Animalischen".

[6] Mit der Reformbewegung haben sich auch viele Protagonisten dieses "ideologischen Ballasts" entledigt; die Mitglieder der jetzigen Bundesregierung als Renegaten zu beschimpfen, wäre ein fataler Irrtum.

[7] Vgl. Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 42, S.  278.

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